Montag, 9. Mai 2011

Hingesudelt 09. Mai 2011


Früher stand am Ende der Zeit der Tod, weshalb das Verstreichen derselben als bedrohlich empfunden wurde. Zur Grundausstattung eines Sensenmannes gehörte demnach neben der obligatorischen Sense eine Sanduhr. Mehr noch als die Sense, war das Stundenglas der Dienstausweis des Schnitters, mit dem er seinem Opfer versicherte, dass zwar die gestundete Zeit abgelaufen, das letzte Stündlein geschlagen habe, sein Auftauchen aber keine Willkür sei. Das Erscheinen des Schnitters folgte einem geheimen, unfassbaren Plan.
Die Zeiten haben sich geändert und damit auch die Zeit. Der Sensenmann ist mitsamt geheimen Plan im Ruhestand und vom Stundenglas geht nur noch Ungemach aus, wenn man auf das Laden eines Computerprogrammes wartet.
Das Verstreichen der Zeit ist inzwischen das, was die Gegenwart von der Zukunft trennt, die wir ungeduldig erwarten.

Die Zukunft vor der Türe ist die digitale Gesellschaft, in der soziale Kontakte, Wissen und Arbeit über das Internet abgewickelt werden. Wir lieben, wir weinen online, wir werden online beklaut. Es wird eine Zukunft werden, in der die Wahl des besten Browsers eine Abwägungssache ist wie jetzt die des richtigen Autos, denn die Datenautobahnen werden wichtiger werden als die aus Asphalt.
Wenn wir uns einmal länger hinaus begeben in die analoge Welt, in ein Fischerdorf auf Kreta, verspüren wir bald einen Phantomschmerz. Und wirklich, wir haben ein Glied verloren, ein digitales, uns von der Community entkoppelt.
Wir sitzen in einem Fischrestaurant, blicken hinaus aufs blaue Meer und können uns des irrationalen Gefühls nicht erwehren, wir befänden uns auf unbekanntem, vielleicht gar feindlichem Terrain.
Dann, plötzlich, zwei fremde Augen, ein kurzer Blick aus braunen Augen, grüne Lider. Schon ist die kretische Schönheit vorüber und uns bleibt nur ein fliehender Rocksaum und braune Waden. Schon greift die Hand nach dem Smartphone auf dem Tisch, doch der flüchtige Augenblick läßt sich nicht twittern, mit niemandem auf facebook teilen. Das Fischerdorf ist nicht online und wir sind frustriert, ob der Tücken der nichtvorhandenen Technik und einem unausgelebten Mitteilungsdrang.
Da sitzen wir also allein mit einem Augenblick des Glücks, dessen Genuß uns versagt blieb, weil wir ihn festzuhalten versuchten.

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