Donnerstag, 12. Mai 2011

Leo Africanus - Mittler zwischen Islam und Christentum

Es ist erstaunlich wie langsam die Welt sich wandelt. In der Technik ist der Fortschritt rasant und wird immer schneller, was von der Entwicklung der Menschheit nicht behauptet werden kann. Das Verhältnis zwischen Islam und Christentum hat sich nicht verbessert. Die islamische Welt und der Westen pflegen seit Jahrhunderten die hohe Kunst aneinander vorbei zu reden.

Vor fast fünfhundert Jahren wurde der marokkanische Gesandte Al Hasan ibn Muhammad Al-Wazzan unfreiwillig zum Mittler zwischen Kulturen. Im Mittelmeer von Piraten gefangen genommen und an den Papst nach Rom verkauft, konvertierte Al-Wazzan zum Christentum und nannte sich fortan Leo Africanus. So entging er Sklaverei und Tod, war aber auf absehbare Zeit im Dar al-Harb, dem Land des Krieges, beziehungsweise der christlichen Welt gestrandet.
Al-Wazzan oder Leo Africanus machte das Beste aus seiner Situation. Statt als hochrangiger islamischer Konvertit am Hof des Papstes ein wandelndes Kuriosum zu sein, arbeitete er zusammen mit christlichen und jüdischen Gelehrten unter anderem an einem Arabisch-Wörterbuch, einer Koranübersetzung und veröffentlichte eine „Beschreibung Afrikas“.


Inzwischen leben Millionen Muslime in christlichen Ländern und Millionen Christen in Muslimischen. Was aber die Kommunikation zwischen den Religionen anbelangt, so hat sich in der Öffentlichkeit kaum etwas geändert. Hüben wie Drüben wird übereinander geredet, aber selten bis gar nicht miteinander, wie vor fünfhundert Jahren, als der Gesandte Al-Wazzan wider seines Willen zum Botschafter arabischer Kultur und des Islam wurde.

Noch Anfang der 90er war Betty Mahoudys so genannter Erfahrungsbericht Nicht ohne meine Tochter ein Erfolg als Buch und Film. Sie beschreibt darin zum Beispiel, dass Iraner sich einmal im Jahr, zu Neujahr, waschen.
Letztes Jahr gab es in einigen islamischen Ländern heftige Proteste gegen Islamfeindlichkeit in Deutschland, nachdem die Ägypterin Marwa el-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal grausam ermordet worden war. Dass das Gericht im Begriff gewesen war den späteren Mörder wegen Beleidigung Marwa el-Sherbinis zu verurteilen, ist in den islamischen Medien größtenteils untergegangen.
Als der katholische Kardinal Lehmann, der lutherische Kirchenpräsident Steinacker und der muslimische Essayist Navid Kermani den hessischen Kulturpreis erhalten sollten, verweigerten die beiden christlichen Geistlichen die Annahme. Kermanis kritische Auseinandersetzung mit christlichen Kreuzdarstellungen, erschienen in der Neue Züricher Zeitung, war von ihnen als Beleidigung aufgefasst worden.


Als 1517 aus dem Muslim Al-Wazzan der Christ Leo Africanus wurde, war so ein Ausmaß an Ignoranz gegenüber Kulturen und Religionen noch erklärbar. Reisen war ein Abenteuer, die Weltkarte übersäht mit weißen Flecken und der Informationfluß war ein träges, ständig stockendes Rinnsal. Heute ist es schwerer zu verstehen, warum immer noch Vorurteile dominieren.


Die Historikerin Natalie Zemon Davis (Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre) zeichnet die Lebensgeschichte von Al Hasan ibn Muhammad Al-Wazzan, alias Giovanni Leone „Africanus“ di Medici anhand von spärlichen Quellen, zeitgenössischen Lebensläufen und literarischen Querverweisen nach. Dadurch rekonstruiert sie nicht nur die Biographie eines unfreiwilligen Wanderers zwischen zwei Welten, sie entwirft auch ein Bild des islamischen Nordafrika und Italiens zur Zeit der Renaissance und zeigt Berührungspunkte zwischen den beiden Kulturen auf.


.Natalie Zemon Davis
Leo Africanus – Ein Reisender zwischen Orient und Okzident.
Verlag Klaus Wagenbach.
397 Seiten, 38 Euro.

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