Sonntag, 13. Februar 2011

Das 5 Euro Gesetz


Gescheitert sind weniger die Verhandlungen um ein neues Hartz IV-Gesetz als vielmehr der Versuch ein gesellschaftliches Problem zu verwalten.

Vorgeblich forderte das Verfassungsgericht die Politik auf die Regelsätze von Hartz IV nachvollziehbar und transparent zu berechnen. Tatsächlich war das Urteil eine Aufforderung generell darüber nachzudenken, wie die Fürsorge des Staates für die Schwächsten der Gesellschaft aussehen soll.
Schließlich forderte das Verfassungsgericht nicht nur eine nachvollziehbare Berechnung der Regelsätze, sondern mahnte auch an, dass die Möglichkeit  von Teilhabe am gesellschaftlichen Leben stärker berücksichtigt werden müsse.

Dem Urteil des Verfassungsgerichtes hätte eine gesellschaftliche und politische Diskussion darüber folgen müssen, wie arm die Armen in Deutschland sein dürfen, welchen Mindestlebensstandard will die deutsche Gesellschaft gewähren?
Eben diese Diskussion ist durch den FDP-Vorsitzenden, Guido Westerwelle, abgewürgt worden. Seine berüchtigten Aussagen über „römische Dekadenz“ und „leistungslosen Wohlstand“ haben ihm und seiner Partei geschadet, aber sie haben auch eine sachliche Diskussion unmöglich gemacht.
Die CDU und die zuständige Sozialministerin, Ursula von der Leyen, hatten ebenfalls kein Interesse an einer gesellschaftlichen Diskussion. Es ist charakteristisch für die augenblickliche CDU, dass sie keine klaren Positionen und keine Zukunftsvisionen hat (Ausnahme ist vielleicht die Pränatal Diagnostik). Das Sozialministerium hat lange gewartet, bis die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 des statistischen Bundesamtes vorlag, die es zur Berechnung der Regelsätze heranzog (allerdings wurden nur die unteren 20 Prozent  mit einem Durchschnittsnettoeinkommen von 900 € berücksichtigt).

Den zu erwartenden Aufschrei der Empörung über die Erhöhung von fünf Euro hat man billigend in Kauf genommen. Gerade das Festhalten an diesem eher symbolischen Betrag sollte suggerieren, dass man eine strenge, nüchterne Berechnung aufgrund neuester, vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Zahlen angestellt habe und dies nun einmal das Ergebnis der vom Verfassungsgericht geforderten Neuberechnung der Regelsätze sei.

Hätte die CDU nicht die Landtagswahl in Nordrhein Westfalen verloren, sie wäre vielleicht damit durchgekommen einem Urteil von gesellschaftspolitischer Dimension durch einen bloßen Verwaltungsakt nachzukommen. Zwar hatten Opposition und Wohlfahrtsverbände angekündigt, sie würden bei Inkrafttreten der Hartz IV-Gesetze wieder das Bundesverfassungsgericht anrufen, aber ob das Gericht das nachgebesserte Gesetz abermals für nichtig erklärt hätte, ist fraglich.
Es hätte bei einer weiteren Verhandlung entscheiden können, dass das neue Gesetz zwar nicht dem Geist des vorangegangenen Entscheids entspräche, den Vorgaben aber formal entspräche und damit Verfassungsgemäß sei. Das Verfassungsgericht ist schließlich nicht dazu da die Qualität eines Gesetzes zu bewerten, sondern einzig ob es in Einklang mit der Verfassung steht.

Jetzt, wo der Gesetzesentwurf der Regierung im ersten Anlauf gescheitert ist, könnte man das Versäumte nachholen. Jetzt könnte es eine Diskussion darüber geben, was für einen Lebensstandart eine reiche Industrienation, Exportweltmeister, den weniger glücklichen Mitgliedern seiner Gesellschaft gönnt.
Wie soll eine gesellschaftliche Teilhabe der Unterprivilegierten aussehen, wie kann man sie sicherstellten? Macht ein Bildungspaket wirklich Sinn oder sollte man das Geld in bestehende Bildungseinrichtungen investieren?

Die Diskussion müsste aber noch grundsätzlicher geführt werden. Ist ein Hartz IV-Empfänger per se Mitglied bildungsferner Schichten? Die Begriffe werden bereits synonym verwendet. Kann es eine hoch technisierte Industrienation ohne Langzeitarbeitslose geben und wenn es sie nicht geben kann, mit welcher Begründung halten wir diese dann am Existenzminimum? Was unterscheidet einen Leih- oder Zeitarbeiter eigentlich von einem Sklaven? Wer zahlt die Folgen des zunehmenden Niedriglohnsektors, wenn die 6-Euro Putzfrauen und die 4-Euro Friseusen eine Rente beziehen werden, die zum Leben nicht reicht?

Man könnte über all das reden und dann, wenn es zu einem langfristig tragfähigen, gesellschaftlichen Konsens gekommen ist, ein neues Gesetz erarbeiten. Das könnte man machen oder man könnte sofort nach gescheiterten Verhandlungen den Vermittlungsausschuss anrufen, der einen weiteren Anlauf nimmt einen schlechten Gesetzesentwurf nachzubessern.    

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen