Donnerstag, 7. April 2011

Von Sand und Datteln


Es war einmal ein Land, in dem es nichts gab außer Sonne, Sand und Steinen und hin und wieder einer Wasserstelle mit ein paar Dattelbäumen.
Unter solchen Dattelbäumen saß Muhammad ibn Saud und träumte davon mehr zu sein, als Herr über ein Wasserloch, das sich Kamele, Schafe und Menschen teilen.

Zur selben Zeit blickte Muhammad Abd al-Wahhab voll Zorn zurück nach Basra. Zornig und wütend sein war für Abd al-Wahhab nichts Neues. Groß gewachsen, mit langem Bart und sehr hager waren ihm Wut und Zorn wie Wasser und Brot. Abd al-Wahhab wurde zornig, wenn er jemanden singen hörte, er wurde zornig, wenn er jemanden tanzen sah, wenn jemand einen Strauß Blumen in Händen hielt oder eine Frau berührte. Er wurde wütend, wenn er Zeuge wurde wie jemand auf den Propheten schwor oder einen Zettel mit geheimen Wünschen an einen Baum pinnte.
Sehr zum Missfallen der Einwohner von Basra begann Abd al-Wahhab gegen das Singen und Tanzen zu predigen. Nicht, dass nicht immer mal wieder ein Prediger derartige Formen der Dekadenz anprangerte, aber es nervte schon. Richtig wütend wurden die Einwohner von Basra dann, als Abd al-Wahhab kurzerhand die Bäume zu fällen begann, denen man seine Herzenswünsche anvertraute. Man verwies ihn und seine Anhänger der Stadt.
Das war eine neue Erfahrung für Abd al-Wahhab. Er sollte sich schon bald an sie gewöhnen. Vor allem, weil es in jedem Dorf, aus dem man ihn schmiss, ein paar gab, die ihm folgten, angezogen von einem neuen alten, reinen Islam. Abd al-Wahhab geißelte die Dekadenz der Moderne, den Götzenkult um den Propheten, den ganzen Aberglauben, der den puren Islam beschmutzte.

Wieder einmal waren der Wanderprediger und sein Gefolge aus einer Oase geflohen – dieses Mal, weil sie zum Entsetzen der Einwohner eine Frau zu Tode gesteinigt hatten – , da begegnete er Muhammad ibn Saud und er machte dem Herren über ein Wasserloch und ein paar Dattelbäumen ein erstaunliches Angebot.
Ibn Saud war ein Scheich, kein sehr bedeutender, aber immerhin, und der Wanderprediger war keine einnehmende Gestalt, stand im Ruf der Grausamkeit, der Frömmlerei, war humorlos und ungebildet – abgesehen davon, dass er den Koran auswendig rezitieren konnte, weshalb seine Feinde ihm nachsagten, dass er ein Analphabet sei.
Wenn Muhammad ibn Saud Ärger hätte vermeiden wollen, dann hätte er Abd al-Wahhab nicht angehört und vom Hof gejagt, aber er wollte dem Ärger nichts aus dem Weg gehen, sondern raus aus seiner Oase.
Im Jahr 1745 schlossen Muhammad ibn Saud und Muhammad Abd al-Wahhab einen Pakt und besiegelten ihn auch gleich traditionell mit einer Heirat, so dass aus dem Wanderprediger der Schwiegersohn des Scheichs wurde.
Der Pakt bestand daraus, dass Ibn Saud in den Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen ziehen sollte (das waren zu diesem Zeitpunkt alle Menschen, die sich außerhalb der Oase befanden). Dafür würde er Kalif werden und Abd al-Wahhab würde sich um das Seelenheil der Muslime kümmern, wobei man das Heil dabei streichen kann.
Die Stammeskrieger des Scheichs, ergänzt um das fanatische Gefolge des Wanderpredigers, stellten eine schlagkräftige Truppe dar. In den nächsten zwanzig Jahren eroberte man den Norden des heutigen Saudi-Arabien, als ibn Saud und Abd al-Wahhab kurz nacheinander starben 1765/66. Die Nachfolger führten das begonnene Werk fort und eroberten 1801 die Heiligen Stätten Mekkaund Medina. Dort verboten sie Musik, Blumen, Tabak und Kaffee, verbrannten alle Bücher, bis auf den Koran, zwangen die Männer unter Androhung der Todesstrafe sich einen Bart wachsen zu lassen (kommt bekannt vor), die Frauen einen Schleier zu tragen und verbannten sie ins Haus. Dann schändeten sie das Grab des Propheten, die Gräber seiner Familie und die seiner Gefährten, die zu einer Pilgerstätte geworden waren.
Im folgenden Jahr drang man bis nach Kerbala vor, wo die Glaubenskrieger rechtzeitig zum Ashura-Fest ankamen (religiöse Feste hatte Abd al-Wahhab auch nicht gemocht). Man metzelte die feiernden (eigentlich trauernden) Schiiten nieder, schändete die Gräber Alis, Husseins und der Imame und verwüstete dann mit Wonne das Grab Fatimas, der Tochter des Propheten und Ehefrau Alis. Eigentlich hatten die Wahhabiten nichts gegen den Propheten und seine Familie, aber Abd al-Wahhab hatte gepredigt, dass man nur Gott verehren dürfe und nichts und niemanden sonst und seine Anhänger wollten diese Botschaft ganz und gar unmissverständlich verkünden.
Es dauerte noch bis 1818, ehe es dem Kalifen gelang dem Treiben der Wahhabiten ein Ende zu setzen, was verdeutlicht wie machtlos das Osmanische Reich zu diesem Zeitpunkt bereits war.

Die Machtbasis der Familie ibn Saud war zerstört, aber sie waren nicht vernichtet und in ihren Augen hatte der Pakt zwischen Muhammad ibn Saud und Muhammad Abd al-Wahhab Früchte getragen. Gut, das mit der Welteroberung hatte im ersten Anlauf nicht geklappt, aber zwischenzeitlich hatte es viel versprechend ausgesehen. Man beschloss zu warten und einstweilen das verlorene Stammland zurück zu erobern, was etwa hundert Jahre dauerte, vor allem weil die Familie Saud sich zwischenzeitlich auch mal gegenseitig bekriegte.
Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs wurde die Geduld der Sauds belohnt. An der Seite der Briten (eigentlich Ungläubige) und des Sherifs von Mekka (eigentlich ein alter Feind) zogen sie gegen das Osmanische Reich zu Feld. Nach dem der Krieg zu Ende war, war Abd al-Aziz ibn Saud ein wenig enttäuscht von den Briten, denn man hatte ihn mit nicht mehr belohnt als dem, was ihm ohnehin gehörte, der Herrschaft über die Region Nadschd, während die Söhne des Scherifs von Mekka sich die Königreiche Jordanien und Irak gesichert hatten, wenn auch als Vasallenstaaten. Doch als sich das Verhältnis zwischen dem Scherif von Mekka und den Briten verschlechterte, schlug die Stunde der Saudis. 1924 fielen Mekka und Medina ein zweites Mal in die Hände der Familie ibn Saud. Man feierte mit der öffentlichen Hinrichtung von 40.000 Menschen. Wie schon gesagt, die Wahhabiten (die sich selbst Salafiten nennen) lieben unmissverständliche Botschaften (oder waren keine Gräber zum Schänden mehr übrig?).

Ende gut, alles gut für die Familie Ibn Saud? Nein, irgendwie nicht. Abd al-Wahhab hatte die Herrschaft über alle Muslime versprochen und nicht bloß über noch mehr Sand und ein paar Dattelbäume mehr. Außerdem hatten sich Abd al-Aziz ibn Saud während des Krieges auf die Ikhwan-Bruderschaft als kämpfende Truppe gestützt und die wollten den Kampf jetzt gegen die Briten fortsetzen. Was sollte Ibn Saud tun, den heiligen Krieg fortsetzen oder das Erreichte konsolidieren? Der Realpolitiker entschied sich für letzteres und ließ seine Gotteskrieger mit britischer Hilfe niedermetzeln. Damit hatte den Pakt zwischen Muhammad ibn Saud und Abd al-Wahhab gebrochen, konnte aber das Königreich Saudi-Arabien ausrufen, wo der Wahhabismus Staatsreligion ist und jeder Aspekt des öffentlichen Lebens sich dieser radikalen, puritanischen Variante des Islam unterordnen muss.
Jetzt wäre es an der Zeit, dass der Wahhabismus und das Königreich der Saudis in Vergessenheit geraten. Eine Kultur, die die Rückständigkeit als Heilslehre feiert und eine Wirtschaft, deren einzige Einnahmequelle der Export von Datteln und die jährliche Pilgerfahrt nach Mekka ist, das schreit nachgerade nach Bedeutungslosigkeit, doch der Zufall ist Zyniker. 1938, man wollte eigentlich die Probebohrungen aufgeben, wurde in Saudi-Arabien Erdöl entdeckt, gerade rechtzeitig zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Über Nacht wurde aus einem Wüstenstaat, in dem man noch in Zelten wohnte, ein begehrter Verbündeter, der das im Überfluss liefern konnte, was die Räder der Kriegs- und Weltwirtschaft schmiert. Die Briten und Amerikaner griffen beherzt zu, ehe es die Nazis tun konnten, und König Abd al-Aziz ibn Saud war plötzlich der dickste Freund und beste Verbündete der Supermacht USA. Über kleinere Unappetitlichkeiten wie öffentliches Hinrichten durch Köpfen mit dem Schwert, das Amputieren von Gliedmaßen als Strafe oder die Steinigung sah und sieht man gnädig hinweg. So sehr hängt die Welt am saudischen Öltropf, das dergleichen nicht weiter ins Gewicht fällt, auch wenn die Islamische Republik Iran gegenüber Saudi-Arabien wie ein fröhlicher Kindergeburtstag wirkt.

Jetzt endlich alles gut für die Saudis? Tja, nein, nicht so richtig. Es ist ein wenig wie in Goethes Gedicht „Der Zauberlehrling“. Die Geister, die ich rief, werd’ ich nun nicht mehr los. Diejenigen, die wirklich Gefallen am puritanischen Wahhabismus gefunden hatten, musste es natürlich missfallen, dass sich plötzlich lauter ungläubige Ingenieure und Geschäftsleute im Land tummelten. Und dann erst der Prunk und der Reichtum, der plötzlich überall ausbrach.
Zwar waren die Saudis bemüht die (unfrohe) Botschaft des Wahhabismus in die Welt hinaus zu tragen , indem sie konservative oder radikale islamische Gruppierungen finanziell unterstützen und zu indoktrinieren versuchten, zwar ist die saudische Entwicklungshilfe in Ländern wie Somalia oder dem Sudan nichts weiter als wahhabitische Missionierung (wozu die Welt erobern, was riskant und physisch anstrengend ist, wenn man sich auch kaufen kann?), aber das konnte junge Eiferer wie Osama ibn Laden nicht besänftigen. Nach außen predigt man Wasser, aber hinter zugezogenen Gardinen trinkt man die erlesensten Weine, die sich mit Petrodollars kaufen lassen?
Es war kurzfristig ein Glück für das saudische Herrscherhaus, dass die Sowjetunion 1980 in Afghanistan eingriff. Als die Afghanen mit amerikanischen Waffen versorgt und vom pakistanischen Geheimdienst im Guerillakampf ausgebildet wurden, zog das viele Saudis an. In Afghanistan konnten sie wieder den reinen, puren Islam Abd al-Wahhabs leben, ohne die Ablenkung von goldenen Wasserhähnen, Fernsehen und schnellen Autos und sie durften ungestraft und nach Herzenslust Ungläubige töten.
Solange die jungen Osama ibn Ladens Afghanistan als überdimensionierten Sandkasten gebrauchten, konnte das dem Königshaus egal sein. Kritisch wurde es erst, als Gorbatschow nicht mehr mitspielen wollte und die Saudis die USA im 1. Golfkrieg unterstützten. Das war es, was für Osama ibn Laden und seine international gemischte, aber im Glauben einige Brüder das Fass zum Überlaufen brachte. Al-Quaida war geboren.

Die übergroße Symbolwirkung der Anschläge vom 11. September mit seinen vielen Toten, die Anschläge auf Pendlerzüge in Madrid und der Anschlag auf die Londoner U-Bahn überdecken, dass al-Quaida vor allem Krieg gegen ungläubige Muslime führt. Warum griff al-Quaida das World Trade Center zweimal an, weil es zeitweilig das höchste Gebäude der Welt war? Nein, weil er glaubt, dass die islamische Welt, allen voran seine Heimat Saudi-Arabien, vom Westen korrumpiert ist und das Mittel der Korruption ist Geld, das durch Welthandel erwirtschaftet wird, deshalb das World Trade Center.
Der Westen zählt seine Opfer in diesem Krieg gegen den Terror, über 5000 Zivilsten seit 1993, aber er übersieht dabei, dass al-Quaida ein Vielfaches an Muslimen auf dem Gewissen hat.
2004 sterben in Kerbala während des Ashura-Festes 178 Schiiten, eine direkte Parallele zum Massaker des ersten wahhabitischen Feldzuges 1802. Besonders brutal ist auch der Anschlag von Sindschar.
Weil al-Quaida keine feste Struktur hat, ist auch eine Strategie kaum zu erkennen. Viele Anschläge finden auf islamischen Boden statt, gelten aber westlichen Staatsangehörigen. Das könnte Teil des Plans sein die islamische Welt vom Westen zu säubern, kann aber auch schlicht logistische Hintergründe haben. Wann immer sich eine lukrative Gelegenheit ergibt, schlägt man auch direkt gegen den Westen zu. Allerdings finanziert al-Quaida auch andere Terrorgruppen mit eigener Agenda und ermutigt jeden, der Lust hat mitzumachen. So bleibt das Bild verschwommen.
Fest steht aber, dass al-Quaida ein Problem für das Königshaus der Saudis ist. Al-Quaida ist ihr geistiges Kind, viele Mitglieder al-Quaidas stammen aus Saudi-Arabien, so dass Saudi-Arabien als Unterstützer des weltweiten Terrorismus gilt. Gleichzeitig ist Saudi-Arabien selber auch im Fadenkreuz von al-Quaida, wenn auch bislang insofern, dass ausländische Einrichtungen auf saudischem Boden angegriffen werden.
Natürlich werden die USA nicht ihre schützende Hand abziehen, aber man übt Druck aus. Die Menschenrechtsverletzungen, die Stellung der Frau, all das wird mit einem Mal kritischer gesehen und man könnte sich fragen, wie man wohl heute im saudischen Königshaus über den Pakt denkt, den man vor 250 Jahren mit dem Wanderprediger eingegangen ist.

Klettert Osama ibn Laden immer noch durch das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet? Spaß daran hätte er wahrscheinlich. Keine Blumen, keine mit Blattgold zugekleisterten Moscheen, kein Fernsehen und kein Gesinge und Getanze, das einen vom reinen Islam ablenken kann, bloß ein Gefolge von bärtigen Kerlen mit automatischen Waffen, die glauben, dass die Barmherzigkeit Allahs darin besteht, den Ungläubigen zu einem raschen Tod zu verhelfen.
Vielleicht ist er aber auch in Rente gegangen und sitzt in Saudi-Arabien im Kreise seiner Familie.
Ihn an die USA ausliefern kann das Königshaus nicht, denn er ist einer von ihnen, ein Kind al-Wahhabs. Würden sie ihn an die USA ausliefern, könnten sie auch gleich ihren Wahhabismus einstampfen.
Ihn einfordern könnten die Amerikaner auch nicht, denn dann würden sie ihren wichtigsten Verbündeten in der Region bloßstellen.
Selbst hinrichten und damit los sein, damit hätten die Saudis ganz bestimmt kein Problem, aber es würde aus ihm einen Märtyrer machen und das Königshaus auf der Liste potenzieller Ziele höher rücken lassen. Da ist ein verschwiegener Hausarrest doch die elegantere Lösung.
Dass Osama ibn Laden dann eines Tages von der Welt unbemerkt sterben und in einem unbekannten Grab bestattet würde, dürfte ihn nicht schrecken, denn was sollte er mit Nachruhm anfangen? Er, Osama ibn Laden, ist nichts, Allah ist alles.

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