Man muss nur einmal den Blickwinkel wechseln. Zum Beispiel die Kreuzzüge. Was für eine Epoche für das Abendland, wie viel Platz sie in der Geschichtsschreibung einnehmen. Das erste Mal, dass Islam und Christentum miteinander die Klingen kreuzten, der erste Clash der Kulturen.
Und für die muslimische Welt? Die Kreuzzüge sind für die islamische Geschichtsschreibung eine Randnotiz, bestenfalls. Chronisten in Bagdad, Corduba oder Tunis würden sie vielleicht gar nicht erwähnen. Was kümmert es die Muslime in Neyshabur, wenn ein Haufen Kreuzfahrer in Palästina einfällt? Der Mongolensturm ist das wesentlich größere Ereignis für die islamische Geschichtsschreibung, wohingegen der in der Geschichte Westeuropas kaum Spuren hinterlassen hat.
Vor diesem Hintergrund müsste man auch einmal überdenken, ob die Begriffe Haus des Friedens (Dar al-Islam, islamische Welt) und Haus des Krieges (Dar al-Harb, Christentum) wirklich einen Kriegszustand zwischen den beiden Kulturkreisen beschreibt – tatsächlich herrschte über Jahrhunderte eine Art Kalter Krieg. Man hatte einander, obwohl nur getrennt durch das Mittelmeer, nichts zu sagen – oder ob es nicht treffender eine Zustandsbeschreibung war? In der muslimischen Welt herrschte relativer Friede, während man sich im christlichen Abendland beständig gegenseitig an die Kehle ging.
Wenn man den Blickwinkel einmal gewechselt hat, stellt man auch alte Vorurteile auf den Prüfstand.
„Das Kopftuch ist ein Ausdruck für die Erniedrigung der Frau und der definitive Beweis dafür, dass der Islam als Gesellschaftsform gescheitert ist.“ sagte der britische Generalkonsul in Ägypten, Lord Alfred Cromer, der gleichzeitig die Sufragetten in Großbritannien bekämpfte.
Tatsächlich ging es Lord Cromer nicht um Emanzipation, sondern darum, die britische Herrschaft über das muslimische Ägypten moralisch zu legitimieren.
Der iranische Philosoph Ali Shariati nannte das Kopftuch ein Symbol für Keuschheit und Frömmigkeit und ermutigte muslimische Frauen „Demut und Niedrigkeit abzulegen“, indem sie das Kopftuch anlegten.
Shariati propagandierte einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, der auf dem Islam basieren sollte. Die Religion sollte den gesellschaftlichen Gegenentwurf zu den ehemaligen Kolonialstaaten liefern.
Was lernen wir aus den beiden gegensätzlichen Aussagen? Nichts. Weder Lord Cromer noch Ali Shariati haben jemals ein Kopftuch getragen.
Das Kopftuch, das Aushängeschild des Islam. Schlägt man im Koran nach, dem anderen Aushängeschild, wird man feststellen, dass es gar kein ausdrückliches Gebot zum Tragen eines Kopftuches gibt.
In Sure 53,33 heißt es zwar: „Ihr Gläubigen! Betretet nicht das Haus des Propheten ohne dass man euch Erlaubnis erteilt. […] Und wenn ihr die Gattinnen des Propheten um etwas bittet, das ihr benötigt, dann tut dies hinter einem Vorhang. Auf diese Weise bleibt euer und ihr Herz rein.“
Dieser Vers wird auch hijab-Vers genannt, doch zum einen wird mit hijab ein Vorhang bezeichnet, zum Anderen bezieht sich der Vers nur auf die Frauen des Propheten.
Andere Bekleidungsvorschriften besagen, dass die Frauen ihr Gewand herunter ziehen sollen. „So ist es am ehesten gewährt, dass die Gläubigen erkannt und darauf nicht belästigt werden.“ Sure 33,59 oder dass die Frauen darauf achten sollen, dass in Gegenwart anderer Männer „ihre Scham bedeckt ist […] und sie sich ihren Schal über die Brust ziehen.“ Sure 24,31.
Hieraus lässt sich ein Kopftuchgebot nicht rekonstruieren, aber man kann natürlich anders übersetzen als Reza Aslan.
Wieder Sure 24,31: „Und sag den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham hüten sollen, dass sie ihren Schmuck nicht zur Schau stellen sollen, mit Ausnahme dessen, was ohnehin davon sichtbar ist. Sie sollen ein Tuch über ihren Ausschnitt schlagen und ihren Schmuck nicht zur Schau stellen.“
Wieder kann man keine Aufforderung herauslesen den Kopf zu bedecken, eher nicht nackend herumzulaufen.
In der Tat. Das Tragen eines Kopftuches lässt sich aus dem Koran nicht ableiten. Die gängige These wie das Kopftuch in den Islam gelangt ist, besagt dass die Frauen des Propheten nach der Gewohnheit persischer Edelfrauen ein Kopftuch zu tragen begannen (hejab), um ihre herausragende Position zu betonen und dass das von nachfolgenden Generationen muslimischer Frauen übernommen wurde, um zu zeigen, dass sie in Frömmigkeit den Frauen des Propheten nacheifern.
Zum Vergleich kann man auf den Bart des Propheten verweisen. Viele fromme muslimische Männer tragen einen Bart (manchmal in der fusseligen Variante, mit deren Anblick man manchmal in deutschen Städten beglückt wird), um zu zeigen, dass sie dem Beispiel des Propheten nacheifern. Als die Taliban 1996 Kabul eroberten, verlangten sie von jedem Mann sich binnen zweier Wochen einen Bart wachsen zu lassen. Andernfalls drohte die Todesstrafe. So wird aus einem freiwilligen Symbol der Zugehörigkeit ein Zwang.
Jetzt könnte man darauf verweisen, dass das Übersetzungsschwierigkeiten sind, die sich beim Studium des Koran im Original nicht ergeben, weshalb es ein Gebot gibt den Koran nicht zu übersetzen. Er darf nur auf arabisch gelehrt werden.
Das löst aber die Schwierigkeit nicht, denn den Koran lesen heißt immer ihn zu übersetzen. Der Koran ist in altem hocharabisch verfasst, das im Gegensatz zu den damaligen arabischen Dialekten stand, im Gegensatz zum heutigen Standardarabisch und den jeweiligen, modernen arabischen Dialekten steht. Mit anderen Worten, die Tinte auf dem ersten Koranexemplar war noch nicht trocken, da wurde er schon übersetzt.
Durch den holländischen Regisseur Theo van Gogh wurde die Sure 4,34 berühmt. Sie besagt: „Männer haben die Aufsicht über die Frauen, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie einen Teil ihres Vermögens ausgeben. […] Und wenn ihr fürchtet, dass die Frauen sich auflehnen, so ermahnt sie, meidet ihr Bett und schlagt sie.“
Frauenfeindlicher geht es nicht mehr, aber es gibt auch eine andere Übersetzung der Sure: „Und wenn ihr Widerspenstigkeit vermutet, sprecht mit ihnen, meidet ihr Bett und schlaft mit ihnen, wenn sie Willens sind.“
Das Wort: Männer haben die „Aufsicht über“ die Frauen, kann auch bedeuten: „beschützen“, „unterstützen“, „sorgen für“, „sich kümmern um“, während der hier verwendete arabische Begriff für „schlagen“ auch bedeuten kann: „abwenden“, „fortfahren“ und „in gegenseitigem Einverständnis Verkehr haben“!
Wenn man das Gebot, den Koran nicht zu übersetzen enger fasst, nicht übersetzen, nicht interpretieren, wörtlich nehmen, dann hat man nicht nur das literaturwissenschaftliche Problem, dass lesen immer ein Akt der Interpretation ist, sondern auch das Problem, dass der Koran keine Bedienungsanleitung ist, sondern ein Werk in Versen, das Gleichnisse, Bilder und Metaphern verwendet und in einer arabischen Sprache verfasst ist, die viele einander zum Teil widersprechende Synonyme kennt.
Beide Übersetzungen der Sure sind syntaktisch und grammatikalisch einwandfrei. Man kann sie tatsächlich lesen als Aufforderung Frauen zu verprügeln oder als Aufforderung einvernehmlich miteinander Sex zu haben.
Als Grund dafür, dass islamische Länder den westlichen hinterher hinken wird oft der Koran genannt. Das Kleben am Wortlaut des Koran lähme die Gesellschaften.
Das Gegenteil ist der Fall. Gerade der Versuch den Koran wörtlich zu nehmen hat zu einer beständigen Interpretation des Textes geführt, die kein Ende finden wird. Wenn die islamischen Gesellschaften eine zeitlang in einen Dornröschenschlaf gefallen sind, dann liegt das sicher nicht am Koran.
Was nutzt all das der Islamdiskussion in Deutschland? Eine Menge, denn was nutzt eine Diskussion, wenn eine der beiden Parteien in alten Vorurteilen verhaftet bleibt? Wie kann eine fruchtbare Diskussion entstehen, wenn eine Seite glaubt, die andere Seite würde am liebsten Zuhause die Ehefrauen schlagen, die Töchter unter einen Ganzkörperschleier zwingen, Ungläubige hinschlachten, Dieben die Hand abhaken und Ehebrecher steinigen, wenn man sie nur ließe?
Man kann natürlich den Standpunkt vertreten, dass es alleine Sache der Muslime sei sich einen Islam zu basteln, mit dem man in Deutschland leben kann ohne anzuecken. Das hat man lange auch gemacht. „Hier ist das BGB und wer sich nicht daran hält, der geht ins Gefängnis.“
Davon ist man aber aus Angst vor Parallel- und Schattengesellschaften abgekommen. Der 11. September hat gezeigt, dass der Weg zu kurz greift. Vier der Attentäter haben jahrelang unauffällig in Hamburg gelebt.
Also hat man sich entschieden einen Dialog zu führen. In diesem Dialog kann es nur darum gehen, welchen Raum die deutsche Gesellschaft dem Islam in Zukunft zubilligen wird. Dafür ist es notwendig, dass sich wenigstens einige in Deutschland wenigstens für einige Zeit mit dem Islam auseinander setzen.
Bislang hat der deutsche Staat recht hilflos reagiert, wenn er Seitens des Islam mit der Forderung nach Religionsfreiheit konfrontiert wurde. So wollte vor einigen Wochen eine städtische Angestellte in Frankfurt fortan nur noch im Niqab zur Arbeit erscheinen. Dass man ihr das nicht erlauben konnte, wusste die Stadt, aber nicht wie sie das begründen sollte. Schließlich will man nicht als intolerant erscheinen. Dabei ist das überflüssig. Die Stadt Frankfurt hätte selbstbewusst darauf hinweisen können, dass Niqab und Burka keine islamischen Kleidungsvorschriften sind und sie daher auch keine religiöse Toleranz der Stadt Frankfurt erwarten kann.
Gleichzeitig muss sich die Gesellschaft in Deutschland nicht davor fürchten, wenn muslimische Interessenverbände Forderungen stellen. Niemand ist pikiert, wenn eine Zeugin Jehovas sich vom Sexualkunde-Unterricht freistellen lassen möchte, warum also immer das Misstrauen gegen Muslime?
Wenn Katholiken und Evangelen Religionsunterricht in der Schule haben können, was ist dann verwerflich an islamischem Religionsunterricht? Kein Schweinefleisch zu Mittag in Kindergärten und Schulen? Warum nicht mehrere Gerichte zur Auswahl anbieten? Es soll auch deutsche Kinder geben, die kein Schweinefleisch mögen. Und was hätte die deutsche Gesellschaft davon, wenn sie muslimische Kinder zum Verzehr von Schweinefleisch zwingt?
Nach Geschlechtern getrennter Sportunterricht? Sicher nicht. Muslimische Mädchen können auch mit Kopftuch an Sport- und Schwimmunterricht teilnehmen und wenn ein muslimischer Junge unverschleierte Mädchen beim Sport nicht ansehen kann, dann kann er sie auch nicht in der U-Bahn oder im Bus sehen und ist in Deutschland definitiv fehl am Platz.
Ein spezieller Gebetsraum für Muslime an Schulen? Wenn die Schule den Platz hat, warum nicht, aber generell kann man die Forderung zurückweisen. Der Koran sagt, dass man verpasste Gebete später nachholen kann. Niemandes Seelenheil ist in Gefahr, wenn man die Forderung ablehnt.
Von daher muss man Monika Morans Debattenbeitrag in Spiegel Online vom 18. 03. entgegnen, dass sie das Ende vor dem Anfang gedacht hat.
Ehe man verlangen kann, dass die deutsche Gesellschaft (bzw. deren Repräsentanten) sich nicht mehr mit dem Islam auseinandersetzen müssen, sollte ein vorurteilsfreier Dialog zwischen Gesellschaft und Muslimen geführt worden sein.
Erst wenn die deutsche Gesellschaft und die Muslime in Deutschland ihr Verhältnis zueinander geklärt haben, kann man verlangen, dass der Islam Anders- und Nichtgläubige nicht mehr mit seinen Glaubensregeln behelligt.
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