Mittwoch, 17. Oktober 2012

Frankel bei den Champion Stakes in Ascot

Ein legendäres Rennpferd: Frankel


Frankels großer Abgang




Eine einzigartige Karriere geht zu Ende. Am Samstag, den 20.10. 2012 ging Frankel bei den Qipco Champion Stakes zum letzten Mal an den Start. Ein letztes Mal versammelte sich Frankels Fangemeinde, um den 4jährigen Galileo-Sohn die Daumen drücken, ehe er in die Zucht wechselt.
Nicht auszudenken, sollte ausgerechnet im letzten Rennen seine imposante Siegesserie von 13 Siegen bei 13 Starts, davon neun auf höchster Gruppenebene, enden. Groß war die Wahrscheinlichkeit nicht, beherrschte Frankel die Konkurrenz doch in jedem seiner Rennen und siegte, abgesehen von seinem Debüt, immer mit großem Abstand. Sein Sieg bei den Queen Ann Stakes machte ihn endgültig zum Superstars unter den Rennpferden, vergleichbar mit einem Franz Beckenbauer oder Zinedane Zidane.

Es ist mehr als die übliche Nervosität vor dem letzten Auftritt eines Stars, wenn Rennmanager Teddy Grimthorpe erklärt, die Qipco Champion Stakes seien das schwerste Rennen für Frankel. Um dem Star einen würdigen Abgang zu bereiten, ist man starker Konkurrenz nicht aus dem Weg gegangen. Einen besonderen Reiz erhielt das Rennen dadurch, dass sich für Frankel bei den Qipco Champion Stakes ein Kreis schließt.
Sein erstes Rennen gewann Frankel August 2010 mit einer halben Länge gegen seinen Halbbruder Nathaniel, ebenfalls ein Galileo-Sohn. So nah sollte ihm in seiner Karriere kein Konkurrent mehr kommen. Bei den Qipco Champion Stakes hat Nathaniel Gelegenheit zur späten Revanche.

Die Karriere von Nathaniel, im Besitz von Lady Rothschild, kann sich seit der ersten Begegnung mit Frankel ebenfalls sehen lassen. Drei Gruppe 1 Siege, hat er seither errungen, zuletzt war er zweimal zweiter. Beim Versuch, den Vorjahreserfolg bei den King Georg VI & Queen Elizabeth IIStakes zu wiederholen, fing ihn die deutsche Wunderstute Danedream um Nasenlänge auf der Ziellinie ab.

Frankels ärgster Konkurrent sollte am Samstag voraussichtlich aus Frankreich kommen, Cirrus des Aigles. Der 6jährige Wallach ist ein Weltenbummler, der schon Rennen in Frankreich, Hong Kong, Japan, den Vereinigten Arabischen Emiraten und England bestritten hat, ein Veteran aus 46 Rennen, von denen er 16 gewann und weitere 21 mal platziert war und Titelverteidiger der Champion Stakes.
Trainerin Corine Barande-Barbe meint, dass Cirrus des Aigles im Alter immer besser wird. Seine Siege bei den Dubai Sheema Stakes und dem Prix Ganay bestätigen sie..

Mit von der Partie der deutsche frische deutsche Derbysieger Pastorius. Dass er Frankel gefährden könnte, erwartete von ihm niemand, das gab Trainer Mario Hofer offen zu, aber Hoffnung auf einen Platz unter den ersten dreien machte man sich schon, zumal die Wettervorhersagen auf Regen stehen und weichen Boden versprechen, den Pastorius und Cirrus des Aigles bevorzugen, im Gegensatz zu Frankel, der es lieber trocken mag. 

Am Ende war es wie immer, niemand konnte Frankel halten, weder der alte Weggefährte Nathaniel, nicht der französische Haudegen Cirrus des Aigles und auch nicht der deutsche Derbysieger Pastorius. 

Da spielte es keine Rolle, dass Frankel den Start verbummelte und Kontakt zu seinem Pacemaker Bullet Train verlor. Ausgang des Zielbogens löste er sich außen aus dem Schatten des führenden Duos, Cirrus des Aigles und Nathaniel, um dann unaufhaltsam auf und davon zu ziehen.
Dass Cirrus des Aigles mit kaum mehr als einer Länge unterlag, gereicht ihm zur Ehre, ändert aber nichts daran, dass er Frankel keinen Kampf liefern konnte, nur um den Anschluss kämpfte.
Nathaniel konnte nicht in den Endkampf eingreifen und wurde Dritter, Pastorius, der nie in Erscheinung trat, Vierter.



Das ganze Rennen hier!

Donnerstag, 12. Mai 2011

Leo Africanus - Mittler zwischen Islam und Christentum

Es ist erstaunlich wie langsam die Welt sich wandelt. In der Technik ist der Fortschritt rasant und wird immer schneller, was von der Entwicklung der Menschheit nicht behauptet werden kann. Das Verhältnis zwischen Islam und Christentum hat sich nicht verbessert. Die islamische Welt und der Westen pflegen seit Jahrhunderten die hohe Kunst aneinander vorbei zu reden.

Vor fast fünfhundert Jahren wurde der marokkanische Gesandte Al Hasan ibn Muhammad Al-Wazzan unfreiwillig zum Mittler zwischen Kulturen. Im Mittelmeer von Piraten gefangen genommen und an den Papst nach Rom verkauft, konvertierte Al-Wazzan zum Christentum und nannte sich fortan Leo Africanus. So entging er Sklaverei und Tod, war aber auf absehbare Zeit im Dar al-Harb, dem Land des Krieges, beziehungsweise der christlichen Welt gestrandet.
Al-Wazzan oder Leo Africanus machte das Beste aus seiner Situation. Statt als hochrangiger islamischer Konvertit am Hof des Papstes ein wandelndes Kuriosum zu sein, arbeitete er zusammen mit christlichen und jüdischen Gelehrten unter anderem an einem Arabisch-Wörterbuch, einer Koranübersetzung und veröffentlichte eine „Beschreibung Afrikas“.


Inzwischen leben Millionen Muslime in christlichen Ländern und Millionen Christen in Muslimischen. Was aber die Kommunikation zwischen den Religionen anbelangt, so hat sich in der Öffentlichkeit kaum etwas geändert. Hüben wie Drüben wird übereinander geredet, aber selten bis gar nicht miteinander, wie vor fünfhundert Jahren, als der Gesandte Al-Wazzan wider seines Willen zum Botschafter arabischer Kultur und des Islam wurde.

Noch Anfang der 90er war Betty Mahoudys so genannter Erfahrungsbericht Nicht ohne meine Tochter ein Erfolg als Buch und Film. Sie beschreibt darin zum Beispiel, dass Iraner sich einmal im Jahr, zu Neujahr, waschen.
Letztes Jahr gab es in einigen islamischen Ländern heftige Proteste gegen Islamfeindlichkeit in Deutschland, nachdem die Ägypterin Marwa el-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal grausam ermordet worden war. Dass das Gericht im Begriff gewesen war den späteren Mörder wegen Beleidigung Marwa el-Sherbinis zu verurteilen, ist in den islamischen Medien größtenteils untergegangen.
Als der katholische Kardinal Lehmann, der lutherische Kirchenpräsident Steinacker und der muslimische Essayist Navid Kermani den hessischen Kulturpreis erhalten sollten, verweigerten die beiden christlichen Geistlichen die Annahme. Kermanis kritische Auseinandersetzung mit christlichen Kreuzdarstellungen, erschienen in der Neue Züricher Zeitung, war von ihnen als Beleidigung aufgefasst worden.


Als 1517 aus dem Muslim Al-Wazzan der Christ Leo Africanus wurde, war so ein Ausmaß an Ignoranz gegenüber Kulturen und Religionen noch erklärbar. Reisen war ein Abenteuer, die Weltkarte übersäht mit weißen Flecken und der Informationfluß war ein träges, ständig stockendes Rinnsal. Heute ist es schwerer zu verstehen, warum immer noch Vorurteile dominieren.


Die Historikerin Natalie Zemon Davis (Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre) zeichnet die Lebensgeschichte von Al Hasan ibn Muhammad Al-Wazzan, alias Giovanni Leone „Africanus“ di Medici anhand von spärlichen Quellen, zeitgenössischen Lebensläufen und literarischen Querverweisen nach. Dadurch rekonstruiert sie nicht nur die Biographie eines unfreiwilligen Wanderers zwischen zwei Welten, sie entwirft auch ein Bild des islamischen Nordafrika und Italiens zur Zeit der Renaissance und zeigt Berührungspunkte zwischen den beiden Kulturen auf.


.Natalie Zemon Davis
Leo Africanus – Ein Reisender zwischen Orient und Okzident.
Verlag Klaus Wagenbach.
397 Seiten, 38 Euro.

Montag, 9. Mai 2011

Hingesudelt 09. Mai 2011


Früher stand am Ende der Zeit der Tod, weshalb das Verstreichen derselben als bedrohlich empfunden wurde. Zur Grundausstattung eines Sensenmannes gehörte demnach neben der obligatorischen Sense eine Sanduhr. Mehr noch als die Sense, war das Stundenglas der Dienstausweis des Schnitters, mit dem er seinem Opfer versicherte, dass zwar die gestundete Zeit abgelaufen, das letzte Stündlein geschlagen habe, sein Auftauchen aber keine Willkür sei. Das Erscheinen des Schnitters folgte einem geheimen, unfassbaren Plan.
Die Zeiten haben sich geändert und damit auch die Zeit. Der Sensenmann ist mitsamt geheimen Plan im Ruhestand und vom Stundenglas geht nur noch Ungemach aus, wenn man auf das Laden eines Computerprogrammes wartet.
Das Verstreichen der Zeit ist inzwischen das, was die Gegenwart von der Zukunft trennt, die wir ungeduldig erwarten.

Die Zukunft vor der Türe ist die digitale Gesellschaft, in der soziale Kontakte, Wissen und Arbeit über das Internet abgewickelt werden. Wir lieben, wir weinen online, wir werden online beklaut. Es wird eine Zukunft werden, in der die Wahl des besten Browsers eine Abwägungssache ist wie jetzt die des richtigen Autos, denn die Datenautobahnen werden wichtiger werden als die aus Asphalt.
Wenn wir uns einmal länger hinaus begeben in die analoge Welt, in ein Fischerdorf auf Kreta, verspüren wir bald einen Phantomschmerz. Und wirklich, wir haben ein Glied verloren, ein digitales, uns von der Community entkoppelt.
Wir sitzen in einem Fischrestaurant, blicken hinaus aufs blaue Meer und können uns des irrationalen Gefühls nicht erwehren, wir befänden uns auf unbekanntem, vielleicht gar feindlichem Terrain.
Dann, plötzlich, zwei fremde Augen, ein kurzer Blick aus braunen Augen, grüne Lider. Schon ist die kretische Schönheit vorüber und uns bleibt nur ein fliehender Rocksaum und braune Waden. Schon greift die Hand nach dem Smartphone auf dem Tisch, doch der flüchtige Augenblick läßt sich nicht twittern, mit niemandem auf facebook teilen. Das Fischerdorf ist nicht online und wir sind frustriert, ob der Tücken der nichtvorhandenen Technik und einem unausgelebten Mitteilungsdrang.
Da sitzen wir also allein mit einem Augenblick des Glücks, dessen Genuß uns versagt blieb, weil wir ihn festzuhalten versuchten.

Dienstag, 26. April 2011

Mit der Pferdekutsche in die Zukunft

Die Ära der Zeitung aus Papier scheint am Ende. Der Onlinezeitung ist aber nicht gelungen die Nachfolge anzutreten. Jetzt soll der iPad das Erbe der Tageszeitung antreten, der Tablet-PC den Journalismus ins digitale Zeitalter führen.

Die Zeitung ist tot, heißt es. Verglichen mit Onlineproduktionen wirkt sie in etwa so modern wie die Pferdekutsche im Vergleich zum Automobil.
Umsatzrückgänge auf dem Anzeigenmarkt, kontinuierliche Auflagenverluste und rückgängige Abonnementenzahlen, das gedruckte Wort ist der kranke Mann der Medienlandschaft.
Wenn sich die digitale Gesellschaft jetzt ins Kleine Schwarze zwängt, Sneaker gegen Lackschuhe tauscht und Krawattenknoten googelt, wird die fröhliche Trauergemeinde auf dem Friedhof eine Enttäuschung erleben. Die Zeitung lässt sich ebenso wenig auf bloßen Zuruf hin beerdigen wie Gott.

Die Zeitung lebt und wird leben, weil nichts in der Lage ist sie zu beerben. Zwar hat jede Zeitung eine Onlineausgabe, aber die ist nahezu identisch mit der Printausgabe und komplementär zu ihr konzipiert. Damit die Onlineausgabe sich aus dem Schatten des gedruckten Wortes löst, muss sie ein eigenständiges Produkt mit deutlichen Stärken gegenüber dem Papier werden. Erst wenn der Leser sagt: „Ich lese die Onlinzeitung xy.“ statt „Ich lese die xy Zeitung online.“ kann sie eine echte Konkurrenz werden.
Die Technik hierfür ist längst da. Links im Artikel können aus einer Nachricht ein Thema werden lassen, durch Foren könnten Leser und Redaktion interagieren, Clips, Bildergalerien oder interaktive Grafiken die Artikel multimedial werden lassen. Tatsächlich findet von alledem wenig statt. Den Onlineausgaben ist oft immer noch anzumerken, dass sie ins Internet gestellt wurden, um Präsenz zu zeigen.

Manchem Verleger scheint es, als sei der Tablet-PC die Antwort auf die Frage, wer die Zeitung beerben soll. Er löst das Problem der Lesbarkeit von Onlineartikeln durch eine Handlichkeit, die dem PC und Laptop abging. Er bietet technisch noch mehr Möglichkeiten, eine neue Sinnlichkeit des Lesens. „Das explorative Wühlen in Inhalten mit unseren Fingern und Händen“ auf dem Touchpad, schwärmten Littger & Kircher in der Süddeutschen Zeitung.
Der entscheidende Punkt für Verleger ist aber, weshalb es Aufrufe zum abendlichen Dankgebet an Steve Jobs gibt, dass Apple die anarchische digitale Gesellschaft dazu erzogen hat im Internet für Inhalte wieder zu bezahlen.
Damit aber die Onlinezeitung auf dem Tablet-PC nicht dasselbe Schicksal erleidet wie ihre Vorgängerin, muss es gelingen technisch Machbares und inhaltlich Sinnvolles zusammenzubringen. Die Frage ist nicht, wie bringt man eine interaktive Grafik in einem Artikel unter, sondern wozu.

Selbst wenn Verleger aufhörten an ihren Redaktionen zu sparen, wird der iPad die Zeitung nicht ersetzen. Es gibt nicht genug Leser für den Multimediajournalismus der Zukunft, abgesehen davon, dass es auch noch nicht genug Journalisten dafür gibt.
Es ist müßig sich darüber lustig zu machen, wenn Leute vom morgendlichen Zeitungsleseritual nicht lassen möchten, über Aussagen wie: Ich mag den Geruch von Druckerschwärze und frischen Brötchen am Morgen. Solange die Menschen, die so empfinden in der Mehrheit sind, solange wird die Zeitung der Onlinezeitung voraus sein. Das kann man als rückständig empfinden, fortschrittsfeindlich, man kann auch mit dem Fuß auf den Boden aufstampfen. Es ändert nichts. Wenn jemand am Morgen lieber mit Papier raschelt als sich mit Händen und Fingern durch Inhalte zu wühlen, dann ist das legitim.
Das digitale Zeitalter wird auch nicht schneller kommen, wenn man behauptet, dass der Leser von heute ungeduldiger geworden ist und deshalb ein neuer Journalismus nötig sei, der natürlich nur online zu realisieren ist.
Die „Leser haben keine Lust mehr auf viele Seiten Journalismus auf Papier zu lesen.“ Dafür müsste man sich konzentrieren können „und imstande sein über viele Absätze argumentativ einem Punkt zu folgen, den ein Autor machen möchte. Bevor das gelingt, fallen vielen Menschen vorher die Augen zu.“ Abgesehen davon, dass Littger & Kircher die zeitlose und vom Medium unabhängige Reaktion auf schlecht geschriebene Artikel beschreiben, beweisen 500 Millionen verkaufte Harry Potter Romane, dass der Leser von heute durchaus Willens und in der Lage ist einer Geschichte auf über 4000 zweidimensionalen Druckseiten zu folgen.

Die Zukunft der Zeitung ist die Vergangenheit. Es wird zunehmend sinnloser die Neuigkeiten von gestern morgen wiederzukäuen. Eklatantes Beispiel sind Beschreibungen von Fußballspielen vom Samstag in der Zeitungsausgabe vom Montag. Über das Wochenende verteilt sind die Ausschnitte der Bundesligapartien mindestens ein halbes Dutzend Mal zu sehen gewesen. Da ist eine Nacherzählung auf Papier überflüssig – es sei denn, der Spielverlauf hätte eine Bedeutung über das Ergebnis hinaus.
Die Zukunft der Zeitung liegt nicht im Bericht über Ereignisse, sondern in ihrer Einordnung, Bewertung und Erläuterung. Die Online Zeitung, das Fernsehen oder Radio informieren uns darüber, dass Häftlinge aus einem Gefängnis in Kandahar geflohen sind. Die Printausgabe sollte uns erklären wer geflohen ist, wie die Situation in Kandahar ist und ob die Sicherheitslage in Afghanistan realistisch einen baldigen Abzug deutscher Soldaten zulässt.
Die Gegenwart verlangt nach einem dreigliedrigen Zeitungsmodell. Die klassische Tageszeitung entschleunigt den Leser. Sie gefällt durch Kolumnen, Kommentare und Glossen von literarischer Qualität, berichtet von den Hintergründen eines Geschehens und hilft dem Leser es zu bewerten.
Die Onlinezeitung informiert den Leser aktuell und prägnant über das Tagesgeschehen und die Ausgabe auf dem Tablet-PC brilliert in ausgewählten Artikeln durch Multimedialität.
Egal welchem Medium der Verleger den Vorzug geben wird, er wird den Kampf gegen Leserschwund nicht gewinnen, wenn er an der Redaktion spart. Darin sind sich schließlich alle einig, die Macher konventioneller Zeitung, deren Produkt sich auch als Hut zum Anstreichen verwenden lässt, und die Macher digitaler Zauberwelten: Gute Artikel werden über die Zukunft der Zeitungen entscheiden. Daran hat sich in den letzten zweihundert Jahren nichts geändert.

Donnerstag, 7. April 2011

Von Sand und Datteln


Es war einmal ein Land, in dem es nichts gab außer Sonne, Sand und Steinen und hin und wieder einer Wasserstelle mit ein paar Dattelbäumen.
Unter solchen Dattelbäumen saß Muhammad ibn Saud und träumte davon mehr zu sein, als Herr über ein Wasserloch, das sich Kamele, Schafe und Menschen teilen.

Zur selben Zeit blickte Muhammad Abd al-Wahhab voll Zorn zurück nach Basra. Zornig und wütend sein war für Abd al-Wahhab nichts Neues. Groß gewachsen, mit langem Bart und sehr hager waren ihm Wut und Zorn wie Wasser und Brot. Abd al-Wahhab wurde zornig, wenn er jemanden singen hörte, er wurde zornig, wenn er jemanden tanzen sah, wenn jemand einen Strauß Blumen in Händen hielt oder eine Frau berührte. Er wurde wütend, wenn er Zeuge wurde wie jemand auf den Propheten schwor oder einen Zettel mit geheimen Wünschen an einen Baum pinnte.
Sehr zum Missfallen der Einwohner von Basra begann Abd al-Wahhab gegen das Singen und Tanzen zu predigen. Nicht, dass nicht immer mal wieder ein Prediger derartige Formen der Dekadenz anprangerte, aber es nervte schon. Richtig wütend wurden die Einwohner von Basra dann, als Abd al-Wahhab kurzerhand die Bäume zu fällen begann, denen man seine Herzenswünsche anvertraute. Man verwies ihn und seine Anhänger der Stadt.
Das war eine neue Erfahrung für Abd al-Wahhab. Er sollte sich schon bald an sie gewöhnen. Vor allem, weil es in jedem Dorf, aus dem man ihn schmiss, ein paar gab, die ihm folgten, angezogen von einem neuen alten, reinen Islam. Abd al-Wahhab geißelte die Dekadenz der Moderne, den Götzenkult um den Propheten, den ganzen Aberglauben, der den puren Islam beschmutzte.

Wieder einmal waren der Wanderprediger und sein Gefolge aus einer Oase geflohen – dieses Mal, weil sie zum Entsetzen der Einwohner eine Frau zu Tode gesteinigt hatten – , da begegnete er Muhammad ibn Saud und er machte dem Herren über ein Wasserloch und ein paar Dattelbäumen ein erstaunliches Angebot.
Ibn Saud war ein Scheich, kein sehr bedeutender, aber immerhin, und der Wanderprediger war keine einnehmende Gestalt, stand im Ruf der Grausamkeit, der Frömmlerei, war humorlos und ungebildet – abgesehen davon, dass er den Koran auswendig rezitieren konnte, weshalb seine Feinde ihm nachsagten, dass er ein Analphabet sei.
Wenn Muhammad ibn Saud Ärger hätte vermeiden wollen, dann hätte er Abd al-Wahhab nicht angehört und vom Hof gejagt, aber er wollte dem Ärger nichts aus dem Weg gehen, sondern raus aus seiner Oase.
Im Jahr 1745 schlossen Muhammad ibn Saud und Muhammad Abd al-Wahhab einen Pakt und besiegelten ihn auch gleich traditionell mit einer Heirat, so dass aus dem Wanderprediger der Schwiegersohn des Scheichs wurde.
Der Pakt bestand daraus, dass Ibn Saud in den Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen ziehen sollte (das waren zu diesem Zeitpunkt alle Menschen, die sich außerhalb der Oase befanden). Dafür würde er Kalif werden und Abd al-Wahhab würde sich um das Seelenheil der Muslime kümmern, wobei man das Heil dabei streichen kann.
Die Stammeskrieger des Scheichs, ergänzt um das fanatische Gefolge des Wanderpredigers, stellten eine schlagkräftige Truppe dar. In den nächsten zwanzig Jahren eroberte man den Norden des heutigen Saudi-Arabien, als ibn Saud und Abd al-Wahhab kurz nacheinander starben 1765/66. Die Nachfolger führten das begonnene Werk fort und eroberten 1801 die Heiligen Stätten Mekkaund Medina. Dort verboten sie Musik, Blumen, Tabak und Kaffee, verbrannten alle Bücher, bis auf den Koran, zwangen die Männer unter Androhung der Todesstrafe sich einen Bart wachsen zu lassen (kommt bekannt vor), die Frauen einen Schleier zu tragen und verbannten sie ins Haus. Dann schändeten sie das Grab des Propheten, die Gräber seiner Familie und die seiner Gefährten, die zu einer Pilgerstätte geworden waren.
Im folgenden Jahr drang man bis nach Kerbala vor, wo die Glaubenskrieger rechtzeitig zum Ashura-Fest ankamen (religiöse Feste hatte Abd al-Wahhab auch nicht gemocht). Man metzelte die feiernden (eigentlich trauernden) Schiiten nieder, schändete die Gräber Alis, Husseins und der Imame und verwüstete dann mit Wonne das Grab Fatimas, der Tochter des Propheten und Ehefrau Alis. Eigentlich hatten die Wahhabiten nichts gegen den Propheten und seine Familie, aber Abd al-Wahhab hatte gepredigt, dass man nur Gott verehren dürfe und nichts und niemanden sonst und seine Anhänger wollten diese Botschaft ganz und gar unmissverständlich verkünden.
Es dauerte noch bis 1818, ehe es dem Kalifen gelang dem Treiben der Wahhabiten ein Ende zu setzen, was verdeutlicht wie machtlos das Osmanische Reich zu diesem Zeitpunkt bereits war.

Die Machtbasis der Familie ibn Saud war zerstört, aber sie waren nicht vernichtet und in ihren Augen hatte der Pakt zwischen Muhammad ibn Saud und Muhammad Abd al-Wahhab Früchte getragen. Gut, das mit der Welteroberung hatte im ersten Anlauf nicht geklappt, aber zwischenzeitlich hatte es viel versprechend ausgesehen. Man beschloss zu warten und einstweilen das verlorene Stammland zurück zu erobern, was etwa hundert Jahre dauerte, vor allem weil die Familie Saud sich zwischenzeitlich auch mal gegenseitig bekriegte.
Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs wurde die Geduld der Sauds belohnt. An der Seite der Briten (eigentlich Ungläubige) und des Sherifs von Mekka (eigentlich ein alter Feind) zogen sie gegen das Osmanische Reich zu Feld. Nach dem der Krieg zu Ende war, war Abd al-Aziz ibn Saud ein wenig enttäuscht von den Briten, denn man hatte ihn mit nicht mehr belohnt als dem, was ihm ohnehin gehörte, der Herrschaft über die Region Nadschd, während die Söhne des Scherifs von Mekka sich die Königreiche Jordanien und Irak gesichert hatten, wenn auch als Vasallenstaaten. Doch als sich das Verhältnis zwischen dem Scherif von Mekka und den Briten verschlechterte, schlug die Stunde der Saudis. 1924 fielen Mekka und Medina ein zweites Mal in die Hände der Familie ibn Saud. Man feierte mit der öffentlichen Hinrichtung von 40.000 Menschen. Wie schon gesagt, die Wahhabiten (die sich selbst Salafiten nennen) lieben unmissverständliche Botschaften (oder waren keine Gräber zum Schänden mehr übrig?).

Ende gut, alles gut für die Familie Ibn Saud? Nein, irgendwie nicht. Abd al-Wahhab hatte die Herrschaft über alle Muslime versprochen und nicht bloß über noch mehr Sand und ein paar Dattelbäume mehr. Außerdem hatten sich Abd al-Aziz ibn Saud während des Krieges auf die Ikhwan-Bruderschaft als kämpfende Truppe gestützt und die wollten den Kampf jetzt gegen die Briten fortsetzen. Was sollte Ibn Saud tun, den heiligen Krieg fortsetzen oder das Erreichte konsolidieren? Der Realpolitiker entschied sich für letzteres und ließ seine Gotteskrieger mit britischer Hilfe niedermetzeln. Damit hatte den Pakt zwischen Muhammad ibn Saud und Abd al-Wahhab gebrochen, konnte aber das Königreich Saudi-Arabien ausrufen, wo der Wahhabismus Staatsreligion ist und jeder Aspekt des öffentlichen Lebens sich dieser radikalen, puritanischen Variante des Islam unterordnen muss.
Jetzt wäre es an der Zeit, dass der Wahhabismus und das Königreich der Saudis in Vergessenheit geraten. Eine Kultur, die die Rückständigkeit als Heilslehre feiert und eine Wirtschaft, deren einzige Einnahmequelle der Export von Datteln und die jährliche Pilgerfahrt nach Mekka ist, das schreit nachgerade nach Bedeutungslosigkeit, doch der Zufall ist Zyniker. 1938, man wollte eigentlich die Probebohrungen aufgeben, wurde in Saudi-Arabien Erdöl entdeckt, gerade rechtzeitig zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Über Nacht wurde aus einem Wüstenstaat, in dem man noch in Zelten wohnte, ein begehrter Verbündeter, der das im Überfluss liefern konnte, was die Räder der Kriegs- und Weltwirtschaft schmiert. Die Briten und Amerikaner griffen beherzt zu, ehe es die Nazis tun konnten, und König Abd al-Aziz ibn Saud war plötzlich der dickste Freund und beste Verbündete der Supermacht USA. Über kleinere Unappetitlichkeiten wie öffentliches Hinrichten durch Köpfen mit dem Schwert, das Amputieren von Gliedmaßen als Strafe oder die Steinigung sah und sieht man gnädig hinweg. So sehr hängt die Welt am saudischen Öltropf, das dergleichen nicht weiter ins Gewicht fällt, auch wenn die Islamische Republik Iran gegenüber Saudi-Arabien wie ein fröhlicher Kindergeburtstag wirkt.

Jetzt endlich alles gut für die Saudis? Tja, nein, nicht so richtig. Es ist ein wenig wie in Goethes Gedicht „Der Zauberlehrling“. Die Geister, die ich rief, werd’ ich nun nicht mehr los. Diejenigen, die wirklich Gefallen am puritanischen Wahhabismus gefunden hatten, musste es natürlich missfallen, dass sich plötzlich lauter ungläubige Ingenieure und Geschäftsleute im Land tummelten. Und dann erst der Prunk und der Reichtum, der plötzlich überall ausbrach.
Zwar waren die Saudis bemüht die (unfrohe) Botschaft des Wahhabismus in die Welt hinaus zu tragen , indem sie konservative oder radikale islamische Gruppierungen finanziell unterstützen und zu indoktrinieren versuchten, zwar ist die saudische Entwicklungshilfe in Ländern wie Somalia oder dem Sudan nichts weiter als wahhabitische Missionierung (wozu die Welt erobern, was riskant und physisch anstrengend ist, wenn man sich auch kaufen kann?), aber das konnte junge Eiferer wie Osama ibn Laden nicht besänftigen. Nach außen predigt man Wasser, aber hinter zugezogenen Gardinen trinkt man die erlesensten Weine, die sich mit Petrodollars kaufen lassen?
Es war kurzfristig ein Glück für das saudische Herrscherhaus, dass die Sowjetunion 1980 in Afghanistan eingriff. Als die Afghanen mit amerikanischen Waffen versorgt und vom pakistanischen Geheimdienst im Guerillakampf ausgebildet wurden, zog das viele Saudis an. In Afghanistan konnten sie wieder den reinen, puren Islam Abd al-Wahhabs leben, ohne die Ablenkung von goldenen Wasserhähnen, Fernsehen und schnellen Autos und sie durften ungestraft und nach Herzenslust Ungläubige töten.
Solange die jungen Osama ibn Ladens Afghanistan als überdimensionierten Sandkasten gebrauchten, konnte das dem Königshaus egal sein. Kritisch wurde es erst, als Gorbatschow nicht mehr mitspielen wollte und die Saudis die USA im 1. Golfkrieg unterstützten. Das war es, was für Osama ibn Laden und seine international gemischte, aber im Glauben einige Brüder das Fass zum Überlaufen brachte. Al-Quaida war geboren.

Die übergroße Symbolwirkung der Anschläge vom 11. September mit seinen vielen Toten, die Anschläge auf Pendlerzüge in Madrid und der Anschlag auf die Londoner U-Bahn überdecken, dass al-Quaida vor allem Krieg gegen ungläubige Muslime führt. Warum griff al-Quaida das World Trade Center zweimal an, weil es zeitweilig das höchste Gebäude der Welt war? Nein, weil er glaubt, dass die islamische Welt, allen voran seine Heimat Saudi-Arabien, vom Westen korrumpiert ist und das Mittel der Korruption ist Geld, das durch Welthandel erwirtschaftet wird, deshalb das World Trade Center.
Der Westen zählt seine Opfer in diesem Krieg gegen den Terror, über 5000 Zivilsten seit 1993, aber er übersieht dabei, dass al-Quaida ein Vielfaches an Muslimen auf dem Gewissen hat.
2004 sterben in Kerbala während des Ashura-Festes 178 Schiiten, eine direkte Parallele zum Massaker des ersten wahhabitischen Feldzuges 1802. Besonders brutal ist auch der Anschlag von Sindschar.
Weil al-Quaida keine feste Struktur hat, ist auch eine Strategie kaum zu erkennen. Viele Anschläge finden auf islamischen Boden statt, gelten aber westlichen Staatsangehörigen. Das könnte Teil des Plans sein die islamische Welt vom Westen zu säubern, kann aber auch schlicht logistische Hintergründe haben. Wann immer sich eine lukrative Gelegenheit ergibt, schlägt man auch direkt gegen den Westen zu. Allerdings finanziert al-Quaida auch andere Terrorgruppen mit eigener Agenda und ermutigt jeden, der Lust hat mitzumachen. So bleibt das Bild verschwommen.
Fest steht aber, dass al-Quaida ein Problem für das Königshaus der Saudis ist. Al-Quaida ist ihr geistiges Kind, viele Mitglieder al-Quaidas stammen aus Saudi-Arabien, so dass Saudi-Arabien als Unterstützer des weltweiten Terrorismus gilt. Gleichzeitig ist Saudi-Arabien selber auch im Fadenkreuz von al-Quaida, wenn auch bislang insofern, dass ausländische Einrichtungen auf saudischem Boden angegriffen werden.
Natürlich werden die USA nicht ihre schützende Hand abziehen, aber man übt Druck aus. Die Menschenrechtsverletzungen, die Stellung der Frau, all das wird mit einem Mal kritischer gesehen und man könnte sich fragen, wie man wohl heute im saudischen Königshaus über den Pakt denkt, den man vor 250 Jahren mit dem Wanderprediger eingegangen ist.

Klettert Osama ibn Laden immer noch durch das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet? Spaß daran hätte er wahrscheinlich. Keine Blumen, keine mit Blattgold zugekleisterten Moscheen, kein Fernsehen und kein Gesinge und Getanze, das einen vom reinen Islam ablenken kann, bloß ein Gefolge von bärtigen Kerlen mit automatischen Waffen, die glauben, dass die Barmherzigkeit Allahs darin besteht, den Ungläubigen zu einem raschen Tod zu verhelfen.
Vielleicht ist er aber auch in Rente gegangen und sitzt in Saudi-Arabien im Kreise seiner Familie.
Ihn an die USA ausliefern kann das Königshaus nicht, denn er ist einer von ihnen, ein Kind al-Wahhabs. Würden sie ihn an die USA ausliefern, könnten sie auch gleich ihren Wahhabismus einstampfen.
Ihn einfordern könnten die Amerikaner auch nicht, denn dann würden sie ihren wichtigsten Verbündeten in der Region bloßstellen.
Selbst hinrichten und damit los sein, damit hätten die Saudis ganz bestimmt kein Problem, aber es würde aus ihm einen Märtyrer machen und das Königshaus auf der Liste potenzieller Ziele höher rücken lassen. Da ist ein verschwiegener Hausarrest doch die elegantere Lösung.
Dass Osama ibn Laden dann eines Tages von der Welt unbemerkt sterben und in einem unbekannten Grab bestattet würde, dürfte ihn nicht schrecken, denn was sollte er mit Nachruhm anfangen? Er, Osama ibn Laden, ist nichts, Allah ist alles.